Eine jüdische Geschichte im Jahr der Olympischen Sommerspiele 1936

18.03.2015 Historisches Kommentare geschlossen

Das Schicksal des Henry Cohn-Bloch

Eine Postkarte als stummes Zeugnis
Bei unseren Recherchen zur Geschichte des Fluss- und Stadtbades Lichtenberg stießen wir auf ein unscheinbares Dokument: eine Postkarte des jüdischen Kaufmanns Henry Cohn-Bloch. Ihr Bearbeitungsvermerk zeigt, wie tief die Diskriminierung jüdischer Bürger bereits in den Verwaltungsalltag eingebettet war:

25. Juni 1936 – Antwortschreiben des Stadt- und Flussbades:
„Nichtariern ist nach wie vor der Zutritt zum städtischen Flussbad Lichtenberg nicht gestattet.“
Diese kurze Zeile macht deutlich: Die Ausgrenzung jüdischer Mitbürger war kein lokaler Zufall, sondern das Ergebnis eines gesamten Apparates – abgestimmt, bürokratisch, kalt.

Historischer Hintergrund
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann die systematische Entrechtung der jüdischen Bevölkerung.
1. April 1933: Reichsweiter Boykott jüdischer Geschäfte.
1933–1935: Entlassung jüdischer Beamter, Ärzte und Anwälte, Ausschluss von Kindern aus Schulen und Universitäten.
September 1935: Die Nürnberger Gesetze entzogen Juden die Staatsbürgerrechte und verboten Eheschließungen mit Nichtjuden.
Ab 1935: massive Einschränkungen der freien Berufsausübung.
Auch international wuchs die Kritik, besonders im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936. Zwar versprach die NS-Regierung, die olympischen Regeln einzuhalten – tatsächlich wurde jedoch kein einziger jüdischer Sportler in die deutsche Mannschaft aufgenommen.

Henry Cohn-Bloch
Geboren: 11. Juli 1874 in Posen
Beruf: Kaufmann
Wohnort: Berlin, Landsberger Straße 8 (heute Landsberger Allee, gegenüber dem Volkspark Friedrichshain)
Gestorben: 22. Juli 1938 in Kolberg
Beisetzung: 29. Juli 1938, Jüdischer Friedhof Berlin-Weißensee

Kolberg im Juli 1938
Kolberg war zu dieser Zeit ein mondäner Kur- und Badeort, der Anfang des 20. Jahrhunderts auch von jüdischen Stiftern wie Nachmann Oppenheim und James Simon geprägt worden war. Doch seit 1935 war jüdischen Gästen der Zugang zu Kureinrichtungen erschwert, 1938 wurden jüdische Friedhöfe geschändet, im November desselben Jahres Synagoge und Geschäfte zerstört.
Für Juli 1938 sind keine Aufstände oder kollektiven Ausschreitungen belegt.
Wahrscheinlich hielt sich Henry Cohn-Bloch aus gesundheitlichen Gründen in Kolberg auf. Ob er dort eines natürlichen Todes starb oder ob seine letzten Tage von Demütigungen, Ausgrenzung oder fehlender medizinischer Hilfe überschattet wurden, lässt sich nicht eindeutig klären.

Paula Cohn-Bloch
Nach dem Tod ihres Mannes musste Paula Cohn-Bloch (geb. Bloch, 5. März 1879 in Posen) ihr gesamtes Vermögen veräußern – darunter auch das Haus in der Landsberger Straße. Wie bei unzähligen jüdischen Familien setzten die Behörden einen Verwalter ein, der das Vermögen „treuhänderisch“ verwaltete, in Wahrheit aber Jahr für Jahr Teile davon abschöpfte.
Am 16. Juli 1939 emigrierte Paula Cohn-Bloch in die Niederlande. Dort fand sie jedoch keine Sicherheit:
13. April 1943: Verhaftung und Transport ins Sammellager Westerbork.
Von dort wöchentlich Deportationen nach Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen, Theresienstadt.
20. Juli 1943: Deportation nach Sobibor.
23. Juli 1943: Ermordung im Vernichtungslager Sobibor.

Sobibor
Das Lager Sobibor wurde 1942 im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ errichtet. Es diente ausschließlich der Vernichtung: Rund 250.000 Menschen wurden hier ermordet, darunter etwa 33.000 aus den Niederlanden.
Nach einem Häftlingsaufstand im Oktober 1943 zerstörten die Nationalsozialisten das Lager, um Spuren ihrer Verbrechen zu tilgen. Heute erinnert eine Gedenkstätte an die Opfer – auch an Paula Cohn-Bloch.

 

 

 

 

 

 

Tags: