Vom Volksbad zum Stadtbad – ein Spiegel gesellschaftlicher und politischer Wandlungen

07.09.2025 Allgemein Kommentare geschlossen

Öffentliche Badeanstalten gehörten seit dem späten 19. Jahrhundert zu den wichtigen sozialen Einrichtungen vieler Städte. Unter dem Namen „Volksbad“ entstanden sie mit dem Ziel, auch denjenigen Menschen Körperpflege und Hygiene zu ermöglichen, die in ihren Wohnungen kein Badezimmer hatten – vor allem Arbeitern und ihren Familien.
Doch dieser Begriff wandelte sich im Laufe der Zeit. Insbesondere während des Nationalsozialismus kam es vielerorts zu einer Umbenennung von „Volksbad“ in „Stadtbad“. Warum? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Sprache hier keineswegs neutral war, sondern ein Ausdruck gesellschaftlicher Deutungshoheit.

Ursprung des Begriffs „Volksbad“
Ende des 19. Jahrhunderts war das „Volk“ im damaligen Sprachgebrauch ein sozialpolitischer Begriff. „Volksbad“ bedeutete: ein Bad für alle, erschwinglich, städtisch gefördert – ein Beitrag zur Gesundheitsfürsorge und zur Hebung des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung.
Badeanstalten wie diese wurden von Reformern, Stadtplanern und auch Arbeiterorganisationen getragen. Der Begriff „Volksbad“ war somit positiv besetzt: er stand für soziale Integration und Fürsorge.

Nationalsozialistische Ideologie und Sprachpolitik
Mit der Machtübernahme 1933 veränderte sich die Bedeutung von „Volk“. Der Begriff wurde nun ideologisch aufgeladen und rassistisch verengt. „Volksgemeinschaft“ und „Volkskörper“ waren zentrale Schlagworte.
Damit bekam „Volksbad“ eine Ambivalenz:
Einerseits passte er nicht mehr in die Linie der nationalsozialistischen Städtepolitik, die den fürsorglich-sozialen Charakter tilgen wollte.
Andererseits wurde „Volk“ ideologisch missbraucht – in manchen Fällen wurde das Wort sogar gezielt instrumentalisiert, etwa mit Zusätzen wie „Volksbad der Deutschen Arbeitsfront“.
So setzte sich vielerorts der neutralere und zugleich repräsentativere Begriff „Stadtbad“ durch. Er stellte die Einrichtung in den Dienst der Kommune, nicht mehr in den Kontext sozialer Fürsorge für Bedürftige.

Beispiele aus Berlin

Stadtbad Oderberger Straße (Prenzlauer Berg)
1902 als Volksbad eröffnet.
Zwischen 1934 und 1938 umfassend renoviert und als Stadtbad weitergeführt.
Die Umbenennung geschah eindeutig in der NS-Zeit und spiegelte die Distanzierung vom alten Fürsorgegedanken.
Stadtbad Mitte (James Simon)
Vorgänger: „Volksbadeanstalt Oranienburger Vorstadt“ (1880er Jahre).
Neubau 1927–1930: bereits als Stadtbad bezeichnet – noch vor 1933.
Hier zeigt sich: „Stadtbad“ war nicht ausschließlich ein NS-Begriff, sondern auch Ausdruck moderner, kommunaler Baupolitik in der Weimarer Republik.
Helenenbad (Görlitz, außerhalb Berlins)
1922 als Volksbad eröffnet.
1934 von der Deutschen Arbeitsfront übernommen, Umbenennung in „Volksbad der DAF“.
Hier wurde der Begriff nicht gestrichen, sondern ideologisch vereinnahmt.
Beispiele aus Mannheim
Herschelbad
1920 eröffnet, gestiftet vom jüdischen Kaufmann Bernhard Herschel.
In der NS-Zeit in „Städtisches Hallenbad“ umbenannt, um den jüdischen Namen zu tilgen.
Erst nach 1945 erhielt es seinen ursprünglichen Namen zurück.
Altes Volksbad (Neckarstadt-West)
Seit 1890 als Volksbad genutzt, 1931 modernisiert.
Während des Nationalsozialismus keine Umbenennung – der Name blieb bestehen.
Heute als kulturelle Einrichtung „Altes Volksbad“ weitergeführt.

Exkurs: Die Symbolik der Schriftzüge
Nicht nur die Namen, auch die Gestaltung der Schriftzüge an den Gebäuden erzählt von der Zeit, in der sie entstanden.
Die an vielen Stadtbädern der 1930er Jahre angebrachten Fraktur- oder gebrochenen Schriften waren Teil einer bewussten Inszenierung:
Sie vermittelten Tradition und Bodenständigkeit, Eigenschaften, die das NS-Regime im öffentlichen Raum hervorheben wollte.
Erhabene Metallbuchstaben (meist aus Messing oder Bronze) auf rauem Putz erzeugten eine dauerhafte und zugleich monumentale Wirkung.
Damit wurde das Bad nicht mehr nur als Einrichtung der Hygiene verstanden, sondern auch als repräsentativer Ort kommunaler Selbstdarstellung.
Die heute noch vorhandenen Schriftzüge dokumentieren diesen Wandel eindrucksvoll: Aus einer ursprünglich sozialreformerischen Einrichtung wurde ein architektonisches Symbol, das sich nahtlos in die Bildsprache des „neuen Deutschlands“ einfügte.

Quellenlage und Grenzen der Forschung
Die genaue Datierung der Umbenennungen lässt sich heute nur selten eindeutig bestimmen. Ein zentraler Erlass oder Stichtag ist nicht bekannt – stattdessen geschah die Umstellung oft schrittweise und lokal unterschiedlich.
Ein möglicher Anhaltspunkt wären die Hersteller der Schriftzüge (Schilder- oder Metallbaubetriebe), deren Auftragsbücher oder Rechnungen die Arbeiten dokumentiert haben könnten. Doch hier liegt das Problem:
Viele dieser Unterlagen sind im Zweiten Weltkrieg durch Bombardierungen verloren gegangen.
Damit fehlen oft die entscheidenden Belege, wann genau eine Umbenennung vorgenommen wurde.
Übrig bleiben vor allem die Gebäude selbst, die Schriften, architektonische Details sowie zeitgenössische Postkarten oder Zeitungsberichte.
Die Folge: Man kann die Umbenennung meist nur auf die 1930er Jahre eingrenzen, nicht aber auf ein exaktes Jahr. Gerade deshalb sind die noch erhaltenen Schriftzüge heute von besonderem Wert – sie sind zu Zeugen der Sprach- und Architekturgeschichte geworden.

Fazit
Die Entwicklung vom „Volksbad“ zum „Stadtbad“ ist mehr als eine sprachliche Kleinigkeit. Sie zeigt:
Sozialpolitische Wurzeln: Volksbäder standen einst für Fürsorge und Teilhabe.
Sprachliche Anpassung: In der NS-Zeit wurde der Begriff vielerorts ersetzt, um soziale Bedeutungs-inhalte zu verdrängen und den kommunal-repräsentativen Charakter zu betonen.
Ideologische Instrumentalisierung: In einzelnen Fällen wurde „Volksbad“ nicht gestrichen, sondern politisch missbraucht.
Regionale Unterschiede: Während in Berlin Umbenennungen typisch waren, blieb in Mannheim zumindest ein Volksbad beim alten Namen, während das Herschelbad aus antisemitischen Gründen umbenannt wurde.
Gestalterische Symbolik: Selbst die Wahl der Schrift verrät den ideologischen Kontext – von sozialer Fürsorge hin zu nationaler Repräsentation.
Forschungsgrenzen: Die exakte Datierung bleibt in vielen Fällen unmöglich, weil die einschlägigen Unterlagen im Krieg vernichtet wurden.
Damit sind die Bäder ein Spiegel gesellschaftlicher Deutungsmacht: Wie eine Stadt ihre Badeanstalten nannte – und wie sie diese beschriftete –, verrät viel über ihre Zeit, ihre Politik und ihre Ideologie.

Bleibt also nur noch auf Hinweisen von Zeitzeugen zu hoffen, die die Umbenennung mit verfolgt haben. Nach 90 Jahren dürfte dies aber zum Problem werden!

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