Vor genau einhundert Jahren griff das Stadtbauamt Lichtenberg erneut auf einen bereits bestehenden Entwurf zurück, der in den Jahren 1919 bis 1921 für ein modernes Stadtbad erarbeitet worden war. In einer Phase des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchs unmittelbar zum Ende des Ersten Weltkrieges, insbesondere im Jahr 1919, begannen erste intensive Planungen für dieses ambitionierte Projekt. Ziel war es, ein öffentliches Stadtbad zu errichten, das sowohl der körperlichen Hygiene als auch der sozialen Daseinsvorsorge dienen sollte – ein Ausdruck des modernen Verständnisses von städtischer Infrastruktur und Fürsorge in der jungen Weimarer Republik.
Die Bauarbeiten wurden zunächst mit großem Eifer 1919 aufgenommen. Bereits in der Frühphase der Umsetzung konnte die Baugrube ausgehoben und mit dem Erstellen erster Fundamente begonnen werden. Zur Finanzierung des Projekts griff man auf Mittel zurück, die im Rahmen der sogenannten Notstandsgesetze zur Verfügung standen. Diese Gesetze ermöglichten staatliche Förderungen für infrastrukturelle Maßnahmen, um in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Instabilität gezielt arbeitsmarkt- und sozialpolitische Impulse zu setzen. Das bereits angefangene Projekt musste dann aber eingestellt werden.
In den Jahren 1920 und 1921 wurde der ursprüngliche Entwurf umfassend überarbeitet. Dabei wurden sowohl die architektonischen Vorstellungen als auch die funktionalen Anforderungen an ein zeitgemäßes Stadtbad weiterentwickelt und an die veränderten Gegebenheiten angepasst. Trotz dieser planerischen Fortschritte kam es jedoch zunächst nicht zur Realisierung des Bauvorhabens. Finanzielle Engpässe, politische Unsicherheiten und strukturelle Probleme innerhalb der Verwaltung führten dazu, dass das Projekt in eine längere Phase des Stillstands geriet.
Die Idee eines öffentlichen Volksbades war allerdings nicht neu – sie hatte bereits während der letzten Kriegsjahre an Bedeutung gewonnen. Die schlechte hygienische Versorgung vieler Stadtbewohnerinnen und -bewohner und die unzureichende Zahl an Badeeinrichtungen machten deutlich, dass der Bedarf nach öffentlichen Bädern erheblich gestiegen war. Ursprünglich für eine eher begrenzte Nutzerschaft gedacht, mussten die Planungen daher erweitert werden, um einer wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden. Orientierung bot das 1914 eröffnete Stadtbad Neukölln, dessen moderne Konzeption als Vorbild für das geplante Bad in Lichtenberg diente. Die dort gesammelten praktischen Erfahrungen sollten gezielt in die Planung und spätere Umsetzung in Lichtenberg einfließen.
Trotz der offenkundigen Notwendigkeit, der ausgearbeiteten Entwürfe und der gesellschaftlichen Unterstützung kam das Projekt weiterhin nicht voran. Erst im Jahr 1925 konnte ein erneuter Impuls gesetzt werden: Der damalige Berliner Oberbürgermeister Gustav Böß engagierte sich persönlich für die Errichtung eines weiteren Volksbades im Osten der Stadt. Er griff damit nicht nur die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder auf, die bereits im Mai 1921, im März 1922 und besonders im April 1924 auf einer Fachtagung in Berlin neue Richtlinien für die Planung und den Betrieb öffentlicher Badeeinrichtungen verabschiedet hatte. Besonders betont wurde hierbei die Forderung, jedes neue Stadtbad durch ein zusätzliches Frei- oder Flussbad zu ergänzen, um dem ganzjährigen Nutzungsbedarf gerecht zu werden.
Angeregt durch diese Entwicklungen nahm das Stadtbauamt Lichtenberg die Planungen wieder auf. Man begann mit der Suche nach einem geeigneten Grundstück für ein Flussbad, um die bisherigen Konzepte auf eine neue, tragfähige Grundlage zu stellen. Der Bezirk Lichtenberg erwies sich dabei als besonders geeignet: Bereits 1919 hatte man ja hier mit ersten konzeptionellen Überlegungen begonnen, sodass auf eine solide planerische Basis zurückgegriffen werden konnte. Diese frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Projekt stellte eine wichtige Voraussetzung für die spätere Weiterentwicklung und schließlich auch für die Verwirklichung des Stadtbades dar.
Doch welche Entwicklungen hatten sich seit dem ersten Planungsanlauf im Jahr 1919 ereignet? Mit welchen Hindernissen war das Bauvorhaben konfrontiert? Und aus welchen Gründen wurde es erst 1925 wieder mit Nachdruck in Angriff genommen?
Diesen spannenden Fragen gehen wir im folgenden ausführlicher auf den Grund.
Die Jahre 1919 bis 1925 waren für Berlin eine Zeit extremer Umbrüche. Die Stadt, gezeichnet von den Folgen des Ersten Weltkriegs, stand im Zentrum politischer Kämpfe, wirtschaftlicher Katastrophen und gesundheitlicher Krisen. Trotz aller Widrigkeiten begann sich Berlin in dieser Zeit als kulturelle Metropole neu zu erfinden. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Deutschland zur Republik, doch der Weg dorthin war blutig und von Unsicherheit geprägt. In Berlin, dem politischen Zentrum der jungen Weimarer Republik, kam es 1919 zum Spartakusaufstand, bei dem linke Revolutionäre versuchten, die Macht zu übernehmen. Die Niederschlagung dieses Aufstandes und die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zeigten, wie tief die gesellschaftlichen Gräben waren.
Doch nicht nur von links drohte Gefahr: 1920 erschütterte der Kapp-Putsch Berlin, als rechte Militärs versuchten, die Republik zu stürzen. Der Putsch scheiterte am Widerstand der Arbeiter, doch er verdeutlichte die politische Instabilität der Zeit. Die Ermordung des Außenministers Walther Rathenau 1922 durch rechtsradikale Nationalisten verdeutlichte, wie stark extremistische Kräfte Berlin beeinflussten. Eine der größten Herausforderungen dieser Jahre war die wirtschaftliche Krise, die in der Hyperinflation von 1923 ihren Höhepunkt fand. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Deutschland riesige Schulden – nicht nur bei den Ländern, die den Krieg gewonnen hatten, sondern auch bei den eigenen Bürgern. Viele Menschen hatten damals ihr Geld dem Staat geliehen, um den Krieg zu finanzieren, in Form von sogenannten Kriegsanleihen.
Doch nach dem Krieg stand Deutschland vor einem riesigen Problem: Das Land musste wieder aufgebaut werden, es musste den Siegern Reparationszahlungen leisten und gleichzeitig den Bürgern das geliehene Geld zurückzahlen.
1923 wurde die Lage noch schlimmer: Weil Deutschland mit den Reparationszahlungen im Rückstand war, besetzten französische Truppen das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung forderte die Arbeiter dort auf, nicht mehr zu arbeiten – sie sollten streiken und sich gegen die Besetzung wehren. Trotzdem wurden ihnen weiterhin Löhne gezahlt.
Aber das wurde zum großen Problem: Um die ganzen Zahlungen zu leisten, druckte die Regierung immer mehr Geld. Doch weil es für das viele Geld keine echten Werte gab (wie Gold oder Waren), wurde es immer weniger wert. So begann eine schlimme Inflation: Die Preise stiegen rasant, das Geld verlor fast komplett seinen Wert. Wer seinen Lohn nicht sofort ausgab, konnte sich bald nichts mehr davon kaufen.
Die Inflation hatte verrückte Folgen: Menschen schleppten Geldbündel in Schubkarren zum Einkaufen, manche nutzten die nutzlosen Geldscheine als Heizmaterial oder Notizzettel. Viele Bürger verloren ihr Erspartes – all das Geld, das sie jahrelang angesammelt hatten, war plötzlich nichts mehr wert.
Im Sommer 1923 waren die Preise schon hoch, aber noch irgendwie bezahlbar. Doch im Herbst und besonders im November 1923 stiegen sie ins Unermessliche. Der Geldwert sank so schnell, dass Löhne oft mehrmals täglich ausgezahlt wurden, weil sie sonst sofort wertlos waren.
Hier einige Beispiele:
Juni 1923 – 1 Brot (Schrippe/Brötchen) ca. 0,30 Mark – im November 1923 ca. 200 Milliarden Mark
Juni 1923 – 1 kg Kartoffeln ca. 80 Mark – im November 1923 ca. 90 Milliarden Mark
Juni 1923 – 1 kg Fleisch ca. 3.000 Mark – im November 1923 ca. 3,2 Billionen Mark
Juni 1923 – 1 Ei ca. 800 Mark – im November 1923 ca. 80 Milliarden Mark
Juni 1923 – 1 Liter Milch ca. 1.200 Mark – im November 1923 ca. 360 Milliarden Mark
Doch einige profitierten von der Inflation: Wer Schulden hatte, konnte sie mit dem wertlosen Geld einfach zurückzahlen. Vor allem der Staat profitierte – seine gigantischen Kriegsschulden schrumpften praktisch auf fast nichts.
Erst Ende November 1923 wurde die alte Währung abgeschafft und eine neue eingeführt: die Rentenmark. Ein Jahr später folgte die Reichsmark. Mit Unterstützung der Amerikaner wurde die Wirtschaft langsam stabilisiert. Der Amerikaner Charles Dawes entwickelte einen Plan, um die Reparationszahlungen für Deutschland neu zu regeln. Die Alliierten erkannten: Ein wirtschaftlich starkes Deutschland konnte eher seine Schulden zurückzahlen als ein Land im völligen Chaos.
Viele Menschen verloren ihr gesamtes Erspartes, weil ihr Geld quasi über Nacht wertlos wurde. Gleichzeitig hatten Schuldner großes Glück: Wer z. B. 1921 einen Kredit für ein Haus aufgenommen hatte, konnte ihn Ende 1923 mit praktisch wertlosem Geld zurückzahlen.
Die Spanische Grippe – Eine vergessene Pandemie
Noch bevor die Hyperinflation das tägliche Leben dominierte, wurde Berlin von einer anderen Katastrophe getroffen: der Spanischen Grippe. Diese weltweite Pandemie forderte zwischen 1918 und 1920 schätzungsweise 50 Millionen Todesopfer weltweit, darunter etwa 300.000 bis 400.000 in Deutschland.
Die Krankheit, die sich vor allem durch Truppenbewegungen während des Kriegs verbreitete, war besonders tückisch, weil sie vor allem junge Erwachsene traf. In Berlin wurden rund 60.000 bis 80.000 Menschen infiziert, und es gab geschätzte 5.000 bis 10.000 Todesfälle.
Die Berliner Krankenhäuser waren überfüllt, Medikamente und Pflegepersonal knapp. Die hygienischen Zustände in den überfüllten Mietskasernen begünstigten die Ausbreitung. Die Behörden versuchten, mit Quarantänemaßnahmen und der Schließung öffentlicher Einrichtungen gegenzusteuern, doch viele Menschen nahmen die Pandemie nicht ernst – sie waren vom Krieg und den politischen Unruhen bereits zu erschöpft.
Groß – Berlin
Berlin war mal gar nicht so groß, wie wir es heute kennen. Vor über 100 Jahren, genauer gesagt am 1. Oktober 1920, entstand mit einem einzigen Gesetz das „Groß-Berlin“, wie wir es im Kern heute noch erleben. Und das war nicht einfach irgendeine Verwaltungsreform – das war eine echte Revolution im Städtebau!
Um 1900 war Berlin schon ein bedeutendes Industriezentrum. Die Stadt wuchs rasant, aber drumherum lagen viele selbstständige Städte und Gemeinden wie Charlottenburg, Schöneberg, Lichtenberg oder Neukölln – damals alles noch eigenständig. Verwaltung, Verkehr, Stadtplanung? Völlig zerfasert. Deshalb kam die Idee auf, Berlin samt Umgebung zu einer Einheit zu machen. Der damalige Oberbürgermeister Adolf Wermuth war dabei eine der treibenden Kräfte. Er erkannte früh, dass eine moderne Großstadt nur funktionieren kann, wenn sie auch als Einheit organisiert ist. Das Ganze wurde dann mit dem Groß-Berlin-Gesetz umgesetzt – eine echte Mammutfusion: 7 Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke wurden zusammengeschlossen.
Von 66 auf 878 Quadratkilometer – in einem Rutsch
Durch den Zusammenschluss wurde Berlin über Nacht zur drittgrößten Stadt der Welt, direkt hinter London und New York. Die Fläche vergrößerte sich mehr als das 13-Fache, die Einwohnerzahl stieg auf fast 4 Millionen. Ein Quantensprung für Verwaltung, Stadtplanung und Lebensqualität.
Dank der neuen Struktur konnte Berlin nun endlich aus einem Guss geplant werden: einheitliche Verkehrsnetze, moderne Wohnsiedlungen, neue Grünflächen. Visionäre wie der Stadtbaurat Martin Wagner und Architekt Bruno Taut machten sich ans Werk. Viele ihrer Siedlungen, wie die Hufeisensiedlung in Britz oder die Weiße Stadt in Reinickendorf, stehen heute sogar unter Denkmalschutz und gehören zum UNESCO-Welterbe.
Auch wenn sich Berlin seitdem oft verändert hat – durch Kriege, Teilung und Wiedervereinigung – die Grundstruktur von Groß-Berlin ist geblieben. Die Bezirke, die Vielfalt, die Mischung aus Metropole und Nachbarschaft – all das verdanken wir diesem historischen Schritt im Jahr 1920.
Trotz all dieser Krisen und Ereignissen begann sich Berlin ab 1924 langsam zu stabilisieren. Die Währung war gesichert, die Wirtschaft erholte sich, und die Stadt entwickelte sich zu einem kulturellen Zentrum. Die berühmten Goldenen Zwanziger nahmen ihren Anfang: Kabaretts, Theater und die entstehende Filmindustrie brachten neues Leben in die Metropole.
Berlin war das Zentrum der deutschen Unterhaltungskultur und bot eine Vielzahl an legendären Bühnen und Lokalen. Besonders bekannt war das Kabarett der Komiker, das scharfzüngige Satire und Unterhaltung verband. Auch das Theater des Westens und das Metropol-Theater waren kulturelle Hochburgen der Zeit.
Künstler wie Marlene Dietrich begannen hier ihre Karriere, während Bertolt Brecht und Kurt Weill mit Stücken wie der „Dreigroschenoper“ die Theaterwelt revolutionierten. Clubs und Bars wie das Eldorado wurden zu Treffpunkten der Avantgarde, und Berlin entwickelte sich zu einer Hochburg der Moderne.
Diese faszinierende und turbulente Epoche wurde eindrucksvoll in der Fernsehserie „Babylon Berlin“ dargestellt, die die politischen und kulturellen Verwerfungen dieser Zeit atmosphärisch dicht einfängt und einem breiten Publikum näherbringt.
Doch die Wunden der vergangenen Jahre waren tief, und die politischen Spannungen blieben bestehen.
Die Jahre 1919 bis 1925 waren für Berlin eine Zeit des Chaos, aber auch des Wandels. Politische Instabilität, wirtschaftliche Katastrophen und gesundheitliche Krisen bestimmten den Alltag der Menschen. Dennoch zeigte sich bereits in dieser Zeit der unerschütterliche Geist Berlins – eine Stadt, die selbst aus den schwersten Krisen neue Kraft schöpft.
Bauarbeiter – Streik
Im Jahr 1925 kam es in Berlin zu einem weitreichenden Streik der Bauarbeiter, dessen Auswirkungen die Bautätigkeiten in der gesamten Hauptstadt massiv beeinträchtigten. Laut städtischer Verwaltungsberichte dauerte dieser Arbeitskampf rund zwei bis drei Monate, sodass sämtliche Baustellen in dieser Zeit vorübergehend stillgelegt wurden.
Besonders gravierend stellte sich die Lage im Herbst 1925 dar. Der lang andauernde Streik führte nahezu zu einem vollständigen Erliegen der Bautätigkeiten, was wiederum erhebliche Verzögerungen im städtischen Bauprogramm zur Folge hatte. Die Unterbrechungen betrafen nicht nur einzelne Projekte, sondern behinderten auch die Planung und Umsetzung weiterer Vorhaben, sodass der städtische Wiederaufbau erheblich ins Stocken geriet.
Dieses Ereignis war nicht nur ein Schlag für die Infrastrukturentwicklung, sondern spiegelte auch die angespannten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Republik wider. Arbeitskämpfe infolge von Lohnstreitigkeiten und unzureichenden Arbeitsbedingungen waren in dieser Zeit keine Seltenheit.
Das angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Lage keiner an den Bau eines Volksbades gedacht hat liegt daher auf der Hand.
Erst im Frühjahr 1926 setzte an einigen Standorten wieder eine Normalisierung ein. Ein exemplarisches Beispiel dafür war unter anderem das Lichtenberger Volksbad, an dem die Bautätigkeiten wieder an Fahrt gewannen und somit den symbolischen Beginn eines allmählichen Wiederaufbaus, zu mindestens für Lichtenberg, markierten.
Bedauerlicherweise sind die historischen Quellen, was den Bau des Lichtenberger Volksbades anging, zu diesem bedeutenden Ereignis äußerst dürftig. Es existieren kaum Fotografien oder detaillierte Zeitungsberichte aus jener Zeit, was in erster Linie auf den damals herrschenden Mangel an Papier und die begrenzten Möglichkeiten der fotografischen Dokumentation zurückzuführen ist. So bleibt die Rekonstruktion der damaligen Ereignisse weitgehend auf die wenigen erhaltenen behördlichen Berichte und mündliche Überlieferungen angewiesen.